Internationales Lyriktreffen Münster 2022
Hier herrscht das reine PATHOS!
Bis zum nächsten Lyriktreffen sorgen drei digitale Sammlungen für die nötige Dosis Poesie! Beim Internationalen Lyriktreffen 2022 wurde das Verhältnis von Pathos und Lyrik intensiv unter die Lupe genommen. Gemeinsam sind Lyrikerinnen und Lyriker sowie Münsteranerinnen und Münsteraner auf Spurensuche gegangen.
Daraus entstanden ist die Sammlung 10 Takes on Pathos. Zehn Dichterinnen und Dichter, Übersetzerinnen und Übersetzer gaben Statements zu ihrem persönlichen Verhältnis zu Pathos ab. Videobotschaften und Audioaufnahmen sind zu einer pathetischen Bestandsaufnahme herangewachsen. Acht Pathos-Postkarten waren außerdem durch die Stadt unterwegs und haben zum lyrischen Dialog aufgerufen. Eine Auswahl aus den zahlreichen Einsendungen von Lieblings-Pathos- oder Antipathos-Gedichten ist in der Pathosgalerie zu finden. Die Sammlung Pathos übersetzen! gibt Impulse zum Thema Pathos und Übersetzung, die in einem Live-Workshop während des Lyriktreffens 2022 entstanden sind.
Das Pathosarchiv
Bei einem Thema sind sich deutschsprachige Kritikerinnen und Kritiker erstaunlich einig: Sobald sie Pathos in der Dichtung wittern, schlagen sie Alarm. Ergriffenheit, feierliche Leidenschaft, ein (über)groß ausgedrücktes Gefühl: All das, was hinter dem griechischen Ausdruck páthos stecken mag, scheint nicht so leicht verträglich zu sein.
Wie pathosverträglich ist eigentlich die deutsche Sprache? Aus welchen Gründen weckt Pathos in deutschen Ohren oft Misstrauen und Unmut? Lässt sich die richtige Dosis Pathos bestimmen?
In poetischen Appetizern möchten wir Dichterinnen und Dichter zusammenbringen und dabei möglichst viele unterschiedliche, auch experimentelle Pathos-Positionen ins Feld holen. Gestartet wird mit einer Bestandsaufnahme des Verhältnisses von Lyrik und Pathos heute. Dichterinnen und Dichter teilen in der Sammlung 10 Takes on Pathos kurze Statements in Audio- und Videobotschaften.
Die Statements werden von einer Postkartenaktion begleitet. Pathos-Gedichte finden den Weg in die heimischen Briefkästen, begleitet von der Bitte, selbst Pathos- oder Antipathos-Gedichte zurückzuschicken. Die Pathosgalerie versammelt eine Auswahl der Einsendungen.
Einen Schwerpunkt des Lyriktreffens bildet außerdem die Übersetzung von Pathos. Neigen deutschsprachige Übersetzerinnen und Übersetzer eher dazu, pathetische Gedichte zurück auf die Erde zu holen? Und werden vermeintlich nüchterne deutschsprachige Gedichte von ihren Übersetzenden im Ton eher angehoben? Impulse zum Thema liefert die Sammlung Pathos übersetzen!
10 Takes on Pathos
Nora Gomringer
Ulrike Draesner
Uljana Wolf
Christian Filips
Hans Thill
Michael Ebmeyer
Dagmara Kraus
VERSATORIUM
Sam Zamrik
Kerstin Preiwuß
Pathos
„Die Frühlingsfeier“ | Friedrich Gottlieb Klopstock (Ausschnitt)
Nora Gomringer wurde 1980 in Neunkirchen/Saar geboren, hat Amerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte studiert und leitet seit 2010 das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. Sie ist weltweit als Autorin, Dozentin und Performerin unterwegs, gestaltete von 2001 bis 2006 die Poetry-Slam-Szene aktiv mit und wurde für ihre Lyrik und ihre Texte mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet – darunter 2015 der Ingeborg-Bachmann-Preis.
Ulrike Draesner
über „Metten“ | Louise Glück
Ulrike Draesner setzt sich für uns die Pathos-Brille auf und erzählt eindringlich, wodurch der Pathosverdacht in Louise Glücks Gedicht Metten getriggert wurde – und wie Übersetzung Angst vor Pathos zu überwinden vermag.
Ulrike Draesner ist 1962 in München geboren und lebt in Berlin und Leipzig. Sie ist Professorin für Deutsche Literatur und Erasmus-Koordinatorin am deutschen Literaturinstitut Leipzig, schreibt Lyrik und Prosa und übersetzt aus dem Englischen – unter anderem die Gedichte der Nobelpreisträgerin Louise Glück.
Uljana Wolf | © Villa Massimo, Alberto Novelli
„O Nacht“ | Gottfried Benn
Lyrikerin Uljana Wolf spricht über das Gedicht „O Nacht“ von Gottfried Benn und wie es sie zu einem eigenen Werk inspiriert hat.
Uljana Wolf wurde 1979 in Berlin geboren. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Kulturwissenschaft und debütierte 2005 mit dem Gedichtband „kochanie ich habe brot gekauft“, für den sie als bisher jüngste Autorin mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet wurde. Neben dem Verfassen eigener Lyrik ist sie als Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch tätig. Unter den zahlreichen Auszeichnungen ist auch zweimal der Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie für ihre Übersetzungsleistung. Mit ihren zwei Töchtern und ihrem Mann lebt sie in Berlin und New York.
Christian Filips
Der hohe Ton
Aurélie Maurin, künstlerische Leiterin des Lyrikertreffens Münster, fragt den Lyriker Christians Filips: „Glauben Sie an den hohen Ton in der Poesie?“
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Christian Filips wurde 1981 in Osthofen geboren, ist Schriftsteller, Musikdramaturg und Regisseur. Er ist Mitherausgeber von roughbooks, einer Reihe für zeitgenössische Poesie, übersetzt aus dem Englischen, Italienischen und Niederländischen und versucht das Pathos sowohl mittels seiner Gedichte als auch seiner Übersetzungen in die deutsche Lyriksprache zurückzuholen und wiederzubeleben.
Hans Thill
Pathos
Der Lyriker und Übersetzer Hans Thill setzt sich wie Ulrike Draesner eine Pathos-Brille auf – aber sie ist ganz anders: Von welcher Insel ist das Pathos von Hans Thill wohl gekommen?
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Hans Thill wurde 1954 in Baden-Baden geboren. Der Lyriker und Übersetzer lebt in Heidelberg. Er ist Mitbegründer des Verlags Das Wunderhorn sowie Leiter des Künstlerhauses Edenkoben. Er hat unter anderem die großen französischen Dichterstimmen übersetzt, viele davon unter Pathosverdacht, und leitet die Übersetzungswerkstatt „Poesie der Nachbarn“ in Edenkoben.
Michael Ebmeyer
über „Página blanca“ / „Weißes Blatt“ | Humberto Quino
Autor Michael Ebmeyer möchte schweißgebadet eine Lanze für Pathos und Ironie zugleich brechen. Dazu feiert er das Gedicht „Página blanca“ / „Weißes Blatt“ des bolivianischen Lyrikers Humberto Quino.
Michael Ebmeyer wurde 1973 in Bonn geboren. Der Schriftsteller und Übersetzer veröffentlicht vor allem Prosa (Romane, Erzählungen, Sachbücher), aber immer mal wieder auch Lyrik – etwa seine Texte für die Gruppe Fön oder seine „Vierzeiler der Woche“ im Online-Kulturmagazin „TITEL“. Unlängst hat er mehrere Lyrikbände lateinamerikanischer Dichter*innen für hochroth Heidelberg übersetzt. Darunter eine Auswahl von Gedichten Humberto Quinos, die unter dem Titel „Jemand anders sein und es nicht wissen“ im Herbst 2021 erscheint.
Dagmara Kraus
Dagmara Kraus: „Pathétique pour 1500 tracteurs“ / „Pathetisches für 1.500 Traktoren“
Das Video schließt mit einem Zitat von Giulia Sissa: „La rage et le courage aussi sont un cheval plein d`èlan“ / „Die Wut und auch der Mut sind ein Pferd voller Elan.“
Dagmara Kraus wurde 1981 in Wroclaw (Polen) geboren. Die Lyrikerin lebt in Straßburg und Berlin, übersetzt aus dem Polnischen und Französischen und oszilliert zwischen vielen Sprachtraditionen. Sie spielt offenkundig – in ihren Übersetzungen wie in der Dichtung – mit den Variationen der Pathosempfindlichkeiten zwischen den Sprachen und Kulturen.
VERSATORIUM
„Die Dattel – Übersetzen nach einem Interview von Stephen Ross mit Charles Bernstein, erschienen im Wolf Magazine #28 (Juli 2013)“
Das zu übersetzende Interview als Text (PDF)
Anstelle einer Beschreibung zum Video fügt VERSATORIUM noch eine Übersetzung hinzu:
„The Date / die Dattel
This Poem Intentionally Left Blank. / Diese Beschreibung ist absichtlich gegessen.“
VERSATORIUM ist ein Verein für Gedichte und Übersetzen, in dem junge Übersetzerinnen und Übersetzer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Künstlerinnen und Künstler gemeinsam literarisch übersetzen und den Übersetzungsprozess theoretisch reflektieren. Das Unvollständige und nicht Abgeschlossene ist für die Arbeit von VERSATORIUM besonders ergiebig. 2011 und 2012 widmete sich die Gruppe den Gedichten und Essays von Charles Bernstein. Aus der Auseinandersetzung mit den Texten des US-Amerikaners entstand der Band „Gedichte und Übersetzen“, der 2015 mit dem Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie ausgezeichnet wurde. Er legte den Grundstein zu einer Buchreihe, die das Kollektiv im Wiener Verlag Edition Korrespondenzen herausgibt.
Sam Zamrik
Sam Zamrik über „An End“ | Christina Rossetti
Das Gedicht „An End“ von Christina Rossetti inspiriert Lyriker Sam Zamrik zu seinem Pathos-Statement.
Sam Zamrik: „Pathos. Logos. Ethos. Der Appell an Emotionen blüht in der Lyrik, in der unvergleichlichen Qualität der Ernsthaftigkeit und der erhöhten Spannung hinter den Worten. Die Poesie befreit das Pathos von den Fesseln des Logos und des Ethos, die den Eros seit Aristoteles fesselten und zähmten. Das Pathos erhebt sein Haupt zwischen Schall und Bedeutung; es verbreitet sich über die Zeit und schwingt in der Körperlichkeit des Menschen mit. Der Appell an Emotionen ist mehr als die Beschreibung von Emotionen in gepflegten Worten; er ist vielmehr die Kraft, Emotionen herzuinduzieren. Das Pathos ist einzigartig menschlich, vielleicht sogar bis zu einem Fehler.“
Sam Zamrik, in Damaskus (Syrien) geboren, ist Lyriker, Übersetzer und Musiker. Er studierte Englische Sprache und Literatur an der Universität Damaskus. Seit 2016 lebt er in Deutschland und hat als Stipendiat am Bard College Berlin seinen Bachelor of Arts in Politik und Literatur gemacht. Im Herbst 2021 erscheint seine Lyriksammlung „Sophistry of Survival“ im Hanser Berlin Verlag. Zamrik ist Mitglied der Untergrund-Musikbewegung „New Wave of Syrian Metal“ und Manager und Texter der Metal-Band „Eulen“.
Das Gedicht:
www.infoplease.com/primary-sources/poetry/christina-rossetti/christina-rossetti-end
Deutsche Interlinear-Übersetzung:
Ein Ende
Liebe, stark wie der Tod, ist tot.
Komm, lass uns sein Bett machen
Unter den sterbenden Blumen:
Eine grüne Sode an seinem Kopf;
Und ein Stein zu seinen Füßen,
Worauf wir sitzen können
In den ruhigen Abendstunden.
Er wurde geboren im Frühjahr,
Und starb vor der Ernte:
Am letzten warmen Sommertag
Hat er uns verlassen; er wäre wohl nicht geblieben
Für die Herbstdämmerung, kalt und grau.
Setzen wir uns an sein Grab und singen
Er ist fortgegangen.
Zu ein paar Akkorden und traurig und tief
Singen wir dies:
Seien unsere Augen gerichtet auf das Gras
Schattenverhüllt im Laufe der Jahre
Während wir an alles denken was war
Vor langer Zeit.
Kerstin Preiwuß
über „Massaker“ |
Liao Yiwu
Die Lyrikerin Kerstin Preiwuß nimmt das Gedicht „Massaker“ von Liao Yiwu zum Anlass, über Pathos zu sprechen – und erforscht dabei in und mit der Sprache, wozu Pathos fähig sein kann.
Kerstin Preiwuß, 1980 in Lübz geboren, aufgewachsen in Plau am See und Rostock, lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Leipzig. Seit dem Wintersemester 2021 hat sie den Lehrstuhl für „Literarische Ästhetik“ am Deutschen Literaturinstitut Leipzig inne. Die Lyrikerin, Romanautorin und Essayistin wurde für ihre Arbeiten vielfach ausgezeichnet.
Pathosgalerie
Wir sammeln Pathos! Acht Pathos-Gedichte, sechs Pathos-Splitter und eine grafische Übersetzung waren in den letzten Monaten per Postkarte unterwegs durch die Stadt und haben zum lyrischen Dialog aufgerufen.
Vielen Dank für die zahlreichen Einsendungen Ihrer liebsten Pathos- und Antipathos-Gedichte. Entdecken Sie ausgewählte Gedichte nun in der digitalen Galerie.
Friederike Mayröcker
Daniela Danz
Orsolya Kalász
Nora Gomringer
Berthold Brecht
Berthold Brecht
Hsia Yü
Friederike Mayröcker
Friederike Mayröcker
Ausgewählt und eingesandt von:
Mirjam Springer
Vielen Dank!
Friederike Mayröcker
Masse des Mondes (18.3.1981)
es schwirrt
empor und schmilzt
im Baum des Vogels
Lied im frühen
März im kahlen
Auge
Quelle: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939–2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019.
Ausgewählt und eingesandt von:
Joana Thurairajah
Vielen Dank!
Daniela Danz
Kaskade der Geschichte
hier ist
der Ort
wo wir
bleiben
wollen und die Landschaft die wir uns so lange hersagen müssen
bis wir sie inwendig kennen im Traum noch ihre einzelnen Stellen
benennen die Namen der Fluren der Bäume des Bodens der
Häuser die Namen unserer Tiere wir stocken denn was fehlt sind
unsere
eigenen
Namen
das Haus
in dem wir wohnen und ungeübt setzen wir uns an den Tisch
einer probiert ein Lied es misslingt und das Schweigen kriecht
in unsere Schuhe dass wir mutlos vorgeben etwas besorgen
zu müssen jeder in einer anderen Ecke des Hauses bis wir es
doch hören
etwas das
uns unser
Leben erzählt
die Geschichte die irgendwie ins Haus gedrungen ist durch die
Risse im Putz die Spalten zwischen den Dielen die Tentakel des
wilden Weins der ins offene Fenster langt und uns wieder verwebt
mit den ernsten Orten der Kindheit mit allem was Bedeutung hatte
wir werden
erzählt bis wir
uns erkennen
frei bewegen
als Figuren der Legenden all derer die auf diesem kalkigen Boden
ihr Leben vor sich her trieben den Holunder auf die Lippen drückten
bis sie violett waren violette Wirbel vom kurzwelligen Ende des
sichtbaren Lichts einsam hingebungsvoll und genügsam ja und
endlich
beginnen
auch wir
zu singen
Quelle: Daniela Danz: Wildniß. Göttingen: Wallstein 2020.
Ausgewählt und eingesandt von:
Sophie Stroux
Vielen Dank!
Orsolya Kalász
Glanzvolle Zeit der Neuronen,
wenn in uns wir spiegeln,
was in uns das Schönste ist,
wenn es eine unstillbare Wonne,
sich der vertrackten Macht
der Zärtlichkeit hinzugeben.
Einen Nachmittag lang,
sieben mal sieben Leben zu leben.
Ich muss schon sagen,
ich hatte lange nicht mehr mit einem
so klugen Komplizen zu tun.
Aus Freude über unser Bündnis wächst
meinem Bewusstsein ein Häutchen ,
das mit deiner hingebenden Berührung
zu schwingen beginnt, reißt,
zusammenwächst…
Seine kleine Narben, schau,
sind die Tasten einer Klaviatur,
spiel ruhig das Ostinato,
spiel ohne Zögern die Melodie der Begierde.
Quelle: https://www.lyrikline.org/de/gedichte/joint-attention-7417
Ausgewählt und eingesandt von:
Julian Kirschbaum
Vielen Dank!
Nora Gomringer
Wie erkläre ich
Sind gestorben
In den Himmel gekommen
Sind geflogen
Atomisiert in die Lungen
Der Unwissenden
Nichtswissenwollenden
Haben ihre Kinder
In andere Länder gebracht
Oder die Elternasche
Verstreut über die sieben
Weltmeere
Die heute im Wellenschlag
Im Pottwalbauch
Unsere Sünden fortpflanzen
An die Strände
Der Ruhe
Quelle: Nora Gomringer: Mein Gedicht fragt nicht lange, Voland & Quist, Dresden 2011.
Ausgewählt und eingesandt von:
Lioba Vienenkötter
Vielen Dank!
Berthold Brecht
Vom Schwimmen in Seen und Flüssen
Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der großen Bäume sausen
Muß man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.
Der Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.
Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn kühle Blasen quellen
Weiß man: Ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.
Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen
Fühl ich, daß Sonne überm Tümpel scheint.
Wenn man am Abend von dem langen Liegen
Sehr faul wird, so, daß alle Glieder beißen
Muß man das alles, ohne Rücksicht, klatschend
In blaue Flüsse schmeißen, die sehr reißen.
Am besten ist´s, man hält´s bis Abend aus.
Weil dann der bleiche Haifischhimmel kommt
Bös und gefräßig über Fluß und Sträuchern
Und alle Dinge sind, wie´s ihnen frommt.
Natürlich muß man auf dem Rücken liegen
So wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen.
Man muß nicht schwimmen, nein, nur so tun, als
Gehöre man einfach zu Schottermassen.
Man soll den Himmel anschauen und so tun
Als ob einen ein Weib trägt, und es stimmt.
Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut
Wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt.
Quelle: Bertolt Brecht: Bertolt Brechts Hauspostille. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999.
Ausgewählt und eingesandt von:
Nora Enderlein
Vielen Dank!
Berthold Brecht
An die Nachgeborenen
1
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?
Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)
Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.
Ich wäre gerne auch weise
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
2
In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
Die Sprache verriet mich dem Schlächter
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.
3
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.
Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.
Quelle: Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984.
Mirjam Springer
Vielen Dank!
Hsia Yü
被動
她說:/m/
必須很久很久不說話
才發得出來
這非常低的/m/
她說/m/
然後不動
不想動
那音節撥不動一絲漣漪
在養著青苔
綠灰的湖
她說/m/
然後她說/n/
就是不動
有人喚她
像水滴在蠟上
她在蠟裡
被蠟封住的湖
湖底輕輕晃動
而不動
的果凍
她的被動
在音槽裡
結成冰/z/
如果有人在她的胸脯或耳後
用力呵暖
她就會解凍
掉落
像一枚松果
我們就聽到/g/
先是被吹動的那層汗毛
有點縮緊
然後熱起來
腫脹
而彎曲
而極想被打開被
穿透
那被動
無限稠密而可以
收縮
用最少的呼吸
她說:/∫ /
不轉頭
亦不張望
想降低
再繼續降低
Übersetzung aus dem Chinesischen von Wolfgang Kubin
Bewegt werden
Sie sagt: m
Es bedarf eines langen, langen Schweigens
ehe sie dieses besonders tiefe m
hervorbekommt
Sie sagt m
Danach bewegt sie sich nicht
denkt nicht daran, sich zu bewegen
Die Silbe kräuselt keine Welle
in einem grünen, grauen Teich
der Moos züchtet
Sie sagt m
Danach sagt sie n
und bewegt sich nicht
Jemand ruft sie
den Wassertropfen gleich auf Wachs
Sie befindet sich im Wachs
Vom Wachs versiegelt der Teich
An seinem Grund ein leichtes Wanken
aber kein Bewegtes
Gelee
Ihr Bewegtes
ist in dem Silbenbett
gefriert z
Wenn jemand an ihrer Brust oder hinter ihrem Ohr
kräftig haucht
kann sie auftauen
fallen
Wie ein Tannenzapfen
Wir hörten dann g
Zuerst sind es die Körperhärchen
die sich unter dem Atem zusammenziehen
dann erhitzen
schwellen
und krumm
sich sehnen, geöffnet zu werden
durchdrungen zu werden
zu durchdringen
das Bewegte
Endlos dicht und mit der Möglichkeit
zu schrumpfen
Mit dem kleinsten Hauch
Sagt sie: ∫
Ohne den Kopf zu wenden
auch ohne zu spähen
Sie möchte sinken
und wieder sinken
Quelle: https://www.lyrikline.org/de/uebersetzungen/details/19466/4058
Ausgewählt und eingesandt von:
Mirjam Springer
Vielen Dank!
Friederike Mayröcker
die Überflutung (13.5.1985)
ist das diese Schön-
blindheit : Frühsommerjahre mit
Schwalben, Robinien, diese Über-
flutung?
zusammengeknüllt auf dem Sofa viele
Papiervögel die in den Süden
ziehen ..
geh ich doch nicht am Stab wie einst
steifgefrorener heiliger
Nikolaus, winters, dieses
Maijubilieren, dieses Schmettern und
Frühlingswerk, gilt mir noch,
Spätling ich, und ich sah und siehe,
die Wolke und halbe
Zeit längst vorüber, schlieszlich den
Rhein in seiner strömenden
Wiege
Quelle: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939–2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2019.
Ausgewählt und eingesandt von:
Mirjam Springer
Vielen Dank!
Friederike Mayröcker
an eine Mohnblume mitten in der Stadt (29.5.1985)
aus meinen Köpfen sprieszt
das Feuerwerk der Tränen, der
Flieder rostet, der Liguster
weht, die Camouflage des
Sommers läszt Gewitter ahnen –
Wolfsmilch besamt die Flur, die
Stare fallen, Mücken
flirren im Dorngebüsch, das
abgewelkte Blühen einer
Wolke von erbsengrüner Kirschenfrucht
gekrönt –
samt aufgeprägten kaiserlichen
Doppeladlern – Portraits auf roten Ziegeln – bröckelt
die Friedhofsmauer ab
gestützt nur noch von immergrünen
Efeuranken –
im Aufwind flügelschlagend
steht
raubvogelgleich mein Herz nach Beute äugend
Quelle: Friederike Mayröcker: Gesammelte Gedichte 1939–2003. Hrsg. von Marcel Beyer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2019.
Pathos übersetzen!
Schon im Vorfeld haben sich die Teilnehmenden des Lyriktreffens mit der Übersetzung von Pathos auseinandergesetzt. Die Ergebnisse wurden in dem Live-Workshop „Pathos übersetzen!“ beim Lyriktreffen 2022 präsentiert. Die gleichnamige Galerie versammelt hier im Nachklang des Lyriktreffens die während der Auseinandersetzung mit dem Thema Pathos und Übersetzung entstandenen Impulse und Statements. Für die tägliche Dosis Poesie!
Michael
Olga
Dagmara
Hannes
Ann
Michael Ebmeyer
Wo ist Chavela Vargas?
Zur Pathos-Ambivalenz bei Rery Maldonado Galarza
Quellen: Rery Maldonado Galarza, Chaosforschung. Gedichte. Deutsch von Michael Ebmeyer, hochroth 2020
Text, Video, Stimme: Michael Ebmeyer / Rery Maldonado Galarza
Schnitt: Christian Filips
Michael Ebmeyer wurde 1973 in Bonn geboren. Der Schriftsteller und Übersetzer veröffentlicht vor allem Prosa (Romane, Erzählungen, Sachbücher), aber immer mal wieder auch Lyrik – etwa seine Texte für die Gruppe Fön oder seine „Vierzeiler der Woche“ im Online-Kulturmagazin „TITEL“. Unlängst hat er mehrere Lyrikbände lateinamerikanischer Dichter*innen für hochroth Heidelberg übersetzt. Darunter eine Auswahl von Gedichten Humberto Quinos, die unter dem Titel „Jemand anders sein und es nicht wissen“ im Herbst 2021 erscheint.
Olga Radetzkaja
O reines Grenzland!
Vom Russland-Pathos und Anti-Pathos bei Rilke und Maria Stepanova
Quellen: Maria Stepanova: Der Körper kehrt wieder. Gedichte. Deutsch von Olga Radetzkaja. Berlin: Suhrkamp 2020.
Rainer Maria Rilke: Geschichten vom lieben Gott und anderes: an Grosse f. Kinder erzählt. Berlin: Schuster & Loeffler 1900
Foto: Landpartie mit Rilke, Lou Andreas-Salomé und Spiridon Droschin, Literaturarchiv Marbach / Droschin Museum, Sawidowo
Text und Stimme: Olga Radetzkaja
Schnitt: Christian Filips
Olga Radetzkaja | Geboren 1965 in Amberg. Studium der Slavistik, Amerikanistik sowie Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Berlin. Sie übersetzt Literatur aus dem Russischen und Französischen und arbeitet als Redakteurin bei der Zeitschrift „Osteuropa“. Aktuell lebt sie in Berlin. Brücke Berlin Preis 2020.
Dagmara Kraus
Pietà. Ein Videogedicht.
Quelle: Eine „Pietà“ (ital. „Frömmigkeit“, „Mitleid“) ist ein Typus einer spezifischen Mariendarstellung, auch „Marienklage“ oder „Vesperbild“ genannt. Die trauernde Mutter beweint ihren Sohn, dessen (vom Kreuz abgenommener) Leichnam auf ihrem Schoß liegt oder aufrecht von ihr gestützt wird. Das Videogedicht übersetzt ein Motiv der christlichen Kunst in unsere von kriegerischem Morden gezeichnete Gegenwart.
Dagmara Kraus wurde 1981 in Wroclaw (Polen) geboren. Die Lyrikerin lebt in Straßburg und Berlin, übersetzt aus dem Polnischen und Französischen und oszilliert zwischen vielen Sprachtraditionen. Sie spielt offenkundig – in ihren Übersetzungen wie in der Dichtung – mit den Variationen der Pathosempfindlichkeiten zwischen den Sprachen und Kulturen.
Hannes Bajohr
Kann es programmiertes Pathos geben?
Hannes Bajohr spricht über das Programmieren und Extrahieren von Pathos durch Künstliche Intelligenz.
Hannes Bajohr | Geboren 1984 in Berlin. Studierte Philosophie, deutsche Literatur und Geschichte in Berlin und New York, promovierte über Hans Blumenbergs Sprachphilosophie. Neben seiner akademischen Arbeit übersetzte er unter anderem Kenneth Goldsmith und Judith Shklar aus dem Englischen. Er ist Autor von Prosa, Essays und digitaler Lyrik.
Ann Cotten
Über den Hallraum von Pathos
Ann Cotten vergleicht Pathos mit der Leitfähigkeit von Gefühlen beim Produzieren und Rezipieren von Tönen.
Ann Cotten | Geboren 1982 in Iowa (USA). Aufgewachsen in Wien. Ihre literarische Arbeit wird nicht nur in der Literaturszene, sondern auch in den Bereichen der Bildenden Kunst und der Theorie geschätzt. Sie lebt in Wien und Berlin. Gert-Jonke-Preis 2021.
Pathosmaschinen
Hannes Bajor
PATHOS  der Langeweile der Konstruktionder Rasentrimmer der Prätention der Bohrhämmerder Undurchschaubarkeitder Schwenkscheibender Vergänglichkeitder Heterosexualitätder Freundschaftder Beflissenheitder Bade-Booteder Seltsamkeitder Kompaktspannerder Geländerder Gartenmauernder Wirklichkeit
Translating pathos
One thing is certain: the going is tough for pathos in German-language poetry. The Pathos Laboratory, held as part of the Lyriktreffen Münster, took a closer look at why.
By ALIDA BREMER and AURÉLIE MAURIN
While in most other European and non-European literatures ‘the pathetic’ is seen as virtually synonymous with the lyrical, in German there seems to be a kind of aversion to pathos. Do German-speaking translators tend to bring pathos-laden poems back down to earth? And are supposedly sober German-language poems more likely to be lifted in tone by their translators? During a Pathos Lab held at the LCB, these questions and others were addressed by Hannes Bajohr, Alida Bremer, Ann Cotten, Michael Ebmeyer, Christian Filips, Dagmara Kraus, Olga Radetzkaja and the artistic directors of the Lyriktreffen, Aurélie Maurin and Ulf Stolterfoht.
Aurélie Maurin talked with Alida Bremer about the Pathos project at the Lyriktreffen Münster.
Alida Bremer: When I learned about the Pathos project in the run-up to this year’s Lyriktreffen in Münster, I was very taken with it—even before I was invited to participate. Your invitation pleased and moved me greatly, since I not only live and work in Münster, but I am the translator of a poet from Croatia who consciously chose pathos as a gesture of resignation and revolt for his poetry. He was a punk in the nineties, before the war – punk also conceals a variant of pathos in it. After the war, he became a melancholic lyricist. The Pathos project excited me for several reasons: as is often the case with original and good ideas, I wondered why it hadn’t occurred to me to think about the cultural differences that exist in relation to pathos; I also realized that there was great theoretical and emotional potential in this topic. Most importantly, I could see that your questioning of pathos is based primarily on experiences of translation. Translators do not only translate texts; thanks to their skills they have a very special insight into parallel linguistic and cultural realities. So, my first question is: Where did this idea come from? How did you arrive at it? And how did you manage to win so many enthusiasts for this topic in the rather sober and unemotional city of Münster?
Aurélie Maurin: My interest in pathos was sparked by observations from the practice of translation. For many years I led the VERSschmuggel project of the Haus für Poesie in Berlin, as part of which poets from different languages were invited to translate and freely render each other with the help of an interlinear version. In the process, I noticed time and again that elements of pathos were almost automatically filtered out or avoided in translations into German. And this occurred with completely different source languages. Often there was a translational hesitation, a caution, or even a fierce resistance. Since this scene played out constantly—whether in translations from Spanish, from Persian, or from Russian—and it was reasonable to assume that German poetry had developed a ‘pathos intolerance’ in recent decades. Nothing seemed more difficult to smuggle across the border of the German language than goods containing pathos. A highly sensitive detector tracked down pathos at every boarding. And ‘translating pathos’ into German became synonymous with ironizing, putting a damper on, toning down, redeeming, keeping at a distance. The Münster poetry meeting, which I co-chaired this year for the first time with Ulf Stolterfoht, is a seismograph of its genre. So, it seemed to me an ideal place to bring different positions into the field – and to think together about the (un)translatability of pathos, about idiosyncrasies and positive forms of rhetorical overpowering.
Alida Bremer: Thanks to this inclusion of the art of translation into thinking about poetry, I think we can clearly see that, if only taken seriously enough, translations can change our understanding of literature in general and poetry in particular. In the run-up to the poetry meeting, there was a preparatory meeting – a Pathos Lab – at the LCB in March (I joined from my hotel room in New York with a 6-hour time difference, but it all worked out beautifully): Can you tell us some more about it?
Aurélie Maurin: We gathered experienced translators, some of whom are also authors themselves: Hannes Bajohr, Ann Cotten, Michael Ebmeyer, Dagmara Kraus and Olga Radetzkaja. The project manager was the lyricist Christian Filips, who does not shy away from using lofty tones as a rhetorical device in his works. Ulf Stolterfoht and I also participated. We wanted to bring together different affinities to pathos and different language worlds, and also to introduce some experimental positions into the field. In the run-up to the lockdown, there was a website with a pathos gallery, in which poets and translators explored their difficult relationships to pathos. In this gallery, Nora Gomringer raised a question that accompanied us as a refrain throughout the lab: “Does the blazing German fear of pathos really exist?”
Alida Bremer: And does it?
Aurélie Maurin: Does it ever! Pathos has the effect of a stop sign! German-speaking critics are surprisingly unanimous, sounding the alarm as soon as they sense too much pathos. Freedom from pathos, by contrast, counts as a sign of quality. When there is talk of pathos, people prefer to keep their distance. Recently, for example, the poems of Amanda Gorman were suspected of pathos, as were those of Nobel Prize winner Louise Glück. Ulrike Draesner, Glück’s translator into German, had to justify her decision to retain the pathos of Glück’s poems in translation. In our gallery, she also shows how translation can overcome this pathos angst.
Alida Bremer: This topic moves at the interface between aesthetics and society, poetics and politics. In what seems a neutral space, judgments are made about artistic values, through presumably historical reasons lurk behind them. Amanda Gorman draws on a tradition of American poetry, such as the hymn-like, lofty tones of a Walt Whitman. But this tone causes unease in the German poetry scene. Why?
Aurélie Maurin: Not for nothing does it react with great unease to this pathos, which is often perceived as too patriotic. Through German history, there is a political dimension to the concept of pathos that has given it a bad rap. After the Nazi era in Germany, public speeches were certifiably pathos phobic; and the renunciation of pathos in politics is still present today. West German culture seems to have emerged from a sort of de-pathetization – a tabula rasa of pathos in which collective emotionality was met with suspicion. Pathos was equated with bathos, which is the ancient Greek term for a miscarrying of pathos… Otherwise, it’s only captured via antonyms like ethos, the grotesque, the sublime, antipathos or kitsch … Pathos polarizes!
Alida Bremer:What specific subjects were investigated in the Pathos Lab? Can you give us a few examples?
Aurélie Maurin: A wide range of topics was covered! All of them were reported from their concrete practice. Hannes Bajohr and Ann Cotten asked the question whether pathos can be programmed and how it relates to artificial intelligence. Michael Ebmeyer used Leonard Cohen’s „Take this Waltz,“ an adaptation of Federico García Lorca’s poem „Pequeño Vals Vienés,“ to demonstrate how effects of pathos – and of bathos –are generated through translation into another cultural space. And in the process, he also touched on questions of cultural appropriation. Olga Radetzkaya demonstrated how, in poems by Maria Stepanova and Marina Tsvetaeva, pathos and anti-pathos are related to the idea of Russian heroism. Dagmara Kraus read us examples of her translations of the Polish poet Zuzanna Ginczanka, who arrays a whole catalogue of situations of pathos. And you introduced us to Delimir Rešicki’s world of melancholy angels. Rešicki, who, a figure of post-punk, evokes the dead of the Yugoslav war, you consider the most pathos-laden poet in Europe.
Alida Bremer:I distinguish between intentional pathos – intentional because consciously used as a stylistic device – which I can get a lot out of, and bad pathos – bad because it is unintentional and unaware, but nevertheless used. Delimir Rešicki is cognizant of his poetics of pathos. For example, in his poem ‘Ethno counting rhyme’ he speaks of the ‘pathetic frozen petals of wild cherries’. Wasn’t he the most pathos-laden of all?
Aurélie Maurin: The competition was stiff! That fascinating thing was indeed how these variations of affinities to pathos resulted in a journey through different political situations and traditions, in an endless chain reaction of pathos and antipathos … The defensive reaction to pathos can also express itself in an exaggeration of pathos – a kind of first aggravation before immunization… In this case, pathos is deliberately overloaded, all the better to break with it. … In our gallery there is also a beautiful contribution by Olga Radetzkaja about the varieties of pathos and anti-pathos, consisting in a video about Maria Stepanova, who has overcome the pathos of the mysterious – among others of a Rainer Maria Rilke – that has solidified into kitsch – and plays her game with it…
Alida Bremer: I found this exchange so extremely interesting for all it taught me about other traditions of pathos. As I was in the US while the discussions at the LCB were taking place, I was able to reflect on the pathos of nation-building among Americans, with the Statue of Liberty and the many US flags that are to be seen, and discuss it with our group. At the time, Michael Ebmeyer translated the poem ‘The New Colossus’ by Jewish-American poet Emma Lazarus, which is engraved on the pedestal of the Statue of Liberty. Both the poem and Michael’s fitting translation are marked by this American pathos, but considering the subject and the era – both the Statue of Liberty and the poem salute the tired, the downtrodden, and the homeless who yearn for freedom – this pathos has its justification. I was convinced that we were all on the trail of something very big and important, but I pictured a study or an anthology of theoretical texts rather than a presentation on stage. And yet, as the new curators of the Lyriktreffen Münster, you both decided to present the results publicly in an event format. How did this come about?
Aurélie Maurin: From the outset, we wanted publicly to present the fruits of our pathos harvest at the Lyriktreffen – which should not preclude our continuing the gathering of evidence in the form of a publication. Our project manager, Christian Filips, led the proceedings, basing himself on the finding that the relationship to pathos in German-language discourse is currently undergoing radical change: the post-heroic age is over. The pandemic celebrates heroes again; the rhetoric of war has forced a return of emotive, or pathos-laden speech … pathos-enthusiasm, pathos-polemics and pathos-resilience all have new relations to and against one another, and must be freshly diagnosed. The day after our pathos lab at the LCB, the newspaper Der Freitag was headlined ‘Benebelt von Pathos’ (‘Woozy from Pathos’). It was not about our group, of course, but about a diagnosis of the current times of war. Our two presentations in Münster took place in a cinema; of all places the cinema is perhaps the place where one is still allowed to live out one’s pathos-lust uninhibitedly. The statements and readings were accompanied by a theatre organ. The projector showed expressions of pathos from film history. The analyses of poetic-pathetic rhetoric formed a kind of sober counterpoint to it. Ann Cotten, Olga Radetzkaja and Hannes Bajohr unearthed formulas of pathos on the basis of concrete textual examples. How does one sense pathos triggers? What are the mechanisms that indicate a hypersensitivity to pathos in translations? When does this pathos detector intervene, such that it filters pathos out? Such questions became concretely tangible.
Alida Bremer: Can the problem of pathos be solved through translation? After all, we translate not only from different languages, but also from different cultures with all their historical, social and emotional context – the reception is also influenced by the context in which the readers find themselves. If we assume that pathos is frowned upon, especially in German literature, what happens in translation? Is the pathos avoided or do the translators assume that the aversion to pathos alters through the confrontation with a different cultural context?
Aurélie Maurin: We explored precisely this question in the second event in Münster, which you also participated in. The panel, made up of Dagmara Kraus, Michael Ebmeyer and yourself, dealt with the question of the translatability of pathos using examples of texts and images. Pathos will always be hard to convey when references, connections, equivalences, and contexts are missing. Pathos draws heavily on a collective memory and presupposes participation. If gaps open up and there are no forms of equivalence, the pathos comes to nothing. Good translations, however, achieve exactly this transfer, because in a certain way they simultaneously invent the contexts! By the way, the event ended with you making a vehement statement, pointing out to the audience how hypocritical and woodenly pathetic is the formula, so popular in Germany, of the oath to peace ‘Never again war’ (‘Nie wieder Krieg’), and notably, in view of the wars that have occupied Europe and its surroundings after the collapse of the old post-war order. A case in point is the war in Yugoslavia, which was simply left out of the picture. It was important for you to emphasize that the German public does not realize at all how pathetic this formula ‘Never again war’ is.
Alida Bremer: Yes, when something is expressed so solemnly and pompously, but is factually false, then for me it is an example of bad pathos. Bad pathos is pathos that is ill-considered and made to sound important. Above all, it does not perceive itself as pathos. To my mind, then, bad pathos is unthinking, unaware, and unintentionally used. For example, during his visit to Moscow on February 15, 2022, the German chancellor said, ‘For my generation, war in Europe has become unthinkable, and we must make sure it stays that way’. The sentence struck me as distastefully pathetic. As someone who comes from a country that went through one of these wars, and completely independent of the fact that a German generation imagined war as unthinkable, I found this sentence problematic. This way of talking about war as an impossibility amounts to a German self-centred wishful thinking, for there are people living all over Germany who have fled to here from various wars. Thus, a strange discrepancy of experiences and perceptions emerges. To the ears of people affected by more recent wars, the pathos of the old phrase ‘Never again war’ seems unintentionally ironic and almost cynical. But at the Pathos Lab, the current political situation or Germany’s coming to terms with the past, which results in a transfiguration of European history after 1945, were not the only things that were examined for expressions of pathos. The pathos of the new media was also examined: what about the pathos of algorithms? Are they capable of emotion?
Aurélie Maurin: Hannes Bajohr responds that pathos can only come about behind the backs of machines. It arises ‘as a complex statistical dependency from sufficiently extensive corpora, like fog rises above the decay process of a bog, as the exhalation of dead matter’. When you let the algorithm generate pathos, however, a whole lot comes to light. When asked what sort of pathos it knew about, the machine responded with a long list: ‘the pathos of boredom, the pathos of construction, the pathos of lawn trimmers, the pathos of pretension, the pathos of hammer drills, the pathos of inscrutability, the pathos of swivel disks, the pathos of transience, the pathos of heterosexuality, the pathos of friendship…’ all the way to the pathos of objectivity, of matter-of-factness, which is a possible synonym for German pathos…
Alida Bremer: And what might your favourite pathos be?
Aurélie Maurin: The pathos of stuttering! Or also: the pathos of parrots… and the kind of pathos that both parrots and Patti Smith have in common, you will learn here from Hans Thill!!!
Aurélie Maurin
Born in Paris, has lived in Berlin since 2000, working as a curator, literary translator, and editor. In 2001, she co-founded the VERSschmuggel poetry series at Wunderhorn Verlag, which she edited until 2017. She directs the TOLEDO program of the Deutschen Übersetzerfonds German Translator Fund, as part of which she established the journal series’ Cities of Translators, and Toledo Talks, and founded a meeting of poetry translators JUNIVERS. In 2021 she, together with Ulf Stolterfoht, assumed artistic direction of the Lyriktreffen in Münster. Her most recent publication is: Apollo 18: Expeditionen zu Apollinaire (Verlag das Wunderhorn, 2021).
Alida Bremer
Born in Split and lives in Münster. She received her doctorate with a thesis on the postmodern detective novel (Kriminalistische Dekonstruktion. Zur Poetik der postmodernen Kriminalromane, Königshausen und Neumann 1998). In her novel, Olivas Garten (Eichborn 2013, TB Ullstein 2017), she writes about her family; her manuscript, Träume und Kulissen, was nominated for the 2017 Alfred Döblin Prize (and published with Jung und Jung in 2021). As a translator from Croatian and Serbian into German, she has received numerous grants and awards, most recently the Barthold Heinrich Brockes Fellowship (2020). In 2018, she was awarded the International Literature Prize of the House of World Cultures together with Ivana Sajko, the German Youth Theater Prize together with Dino Pešut, and the Brücke Berlin Theater Prize together with Iva Brdar.